RWA-Anlagen in der Praxis
Bei Rauch- und Wärmeabzugsanlagen, sogenannten RWA-Anlagen, ist es immer ein Wechselspiel von Anforderungen, besonderen Erschwernissen und Lösungsmöglichkeiten, die im konkreten Einsatzfall abgewogen werden müssen. Denn auch größte Objekte und beste Budgets unterliegen letztlich den Grenzen der Physik. Insbesondere der Einfluss des Windes auf den natürlichen Rauchabzug wird oft übersehen. Aber auch andere physikalische Grenzen im Bereich der Mechanik lassen sich nicht endlos verschieben. Pauschale Regeln lassen sich nicht ableiten, aber mit dem Wissen, was alles gehen könnte, findet sich die jeweils optimale Lösung. Die folgenden Großprojekte zeigen typische Herausforderungen und Lösungsansätze: ein Bericht über RWA-Anlagen in der Praxis von LAMILUX Academy Leiter Carsten Ficker.
640 RWA-Flügel auf Nuovo Centro Congressi in Rom
Vom römischen Stararchitekten Massimiliano Fuksas kam der aufsehenerregende Entwurf zum Kongresszentrum in Rom, dessen zentrales Element „Die Wolke“ ist. Die namensgebende Form bildet ein von einer Membran umhülltes Stahlkonstrukt. Sie schwebt scheinbar in einem riesigen Quader aus Stahl und Glas (175m x 70m x 40m) und beherbergt die Tagungsräume für bis zu 1800 Personen. Ergänzt wird das Ensemble vom angrenzenden Kongresshotel.
Im 12.000 Quadratmeter großen Dach des Glasquaders sind 640 RWA- und Lüftungsflügel von zum Teil enormer Größe. Im wahrsten Sinne erschwerend hinzu kam der Einsatz einer speziellen Verglasung mit sehr hohem Flächengewicht. Die größten Flügel waren so etwa 4,5 Quadratmeter groß und circa 250 Kilogramm schwer.
Nicht nur an die Errichtung, sondern auch an die über die Nutzungsdauer erforderliche regelmäßige Wartung war zu denken. Diese wird neben den enormen Flügelmaßen dadurch erschwert, dass die NRWG (Natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte) im Glasdach nicht ohne Weiteres von unten zugänglich sind. Die Anforderungen schienen zwar zunächst hoch, die enorme Flügelanzahl eröffnete jedoch auch besondere Möglichkeiten.
Eine gezielte Produktentwicklung und Prüfung in diesem Umfang wäre bei kleineren Aufträgen nicht wirtschaftlich machbar. Bei diesem Kongresszentrum lag es aber gut im Bereich des Vertretbaren, da sich die Kosten, auf so viele Geräte verteilt, verträglich zeigten.
Vorbeugender Brandschutz auf der Messe in Hamburg
Die Neue Messe Hamburg bietet in 11 Messehallen 87.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Rund 40 Messen locken jährlich knapp 12.000 Aussteller und gut 700.000 Gästen nach Hamburg. Etwa 20 Meter breite Tonnendächer überdachen die Messehallen und sind mit Aluminium-Stehfalzbahnen auf einem hölzernen Tragwerk gedeckt. Insgesamt wurden 315 Lichtkuppeln als NRWG eingebaut, wobei zwei Zusatzfunktionen mit der RWA-Funktion in Einklang zu bringen waren: Insbesondere der Wunsch nach einem verstellbaren Sonnenschutz, der wahlweise von Lichtlenkung über Verschattung bis hin zu annähernder Verdunkelung fungieren sollte, stellte eine Herausforderung dar. Hinzu kam die mehrstufige Lüftung für Schön- und Schlechtwetter mit teilweise enormen Lüftungshüben bis 1100 Millimetern.
Die Basis bildete zunächst ein Standard-Lichtkuppel-NRWG in der Größe 180cm x 250cm. In dessen Kuppeloberteil wurde ein eigens dafür entwickeltes leichtes Sonnenschutzlamellensystem integriert. Die Lüftung wurde mit mehrstufigen Pneumatikzylindern realisiert, die in ihren funktionsrelevanten Teilen baugleich mit den Geprüften sind.
Durch eine eigens entwickelte weggebundene Führung werden die Verriegelungsbolzen in jeder beliebigen Lüftungsstellung exakt auf der Kreisbahn des Verriegelungsschlosses im Kuppeloberteil gehalten. Damit wird insbesondere das schwierige Einkoppeln beim Schließen aus der RWA-Stellung mit ausgefahrenen Lüftungszylindern sicher gewährleistet.
Sonderkonstruktionen auf der BMW-Welt in München
Die BMW-Welt in München wurde als Begegnungsstätte des Unternehmens mit seinen Kunden und Gästen konzipiert. Die extravagante Architektur ist Teil dieses Konzepts und prägt natürlich auch die Dachkonstruktion mit den darin befindlichen NRWG. Die aus dem formgebenden Doppelkegel entspringende 16.000 Quadratmeter große Dachwolke wird von nur zwölf Pendelstützen getragen und vermittelt einen schwebenden Eindruck. In 30 Metern Höhe wird so eine Fläche überspannt, die etwa dem Markusplatz in Venedig entspricht.
Der Anspruch der Planer und Bauherren bestand darin, die nötigen NRWG von außen unsichtbar ins Dach zu integrieren. Nicht mehr und nicht weniger. Als Basis dienten speziell für dieses Projekt entworfene NRWG, die als Tandem funktionieren und um 120° öffnen. Sie wurden flächenbündig in die äußere Dachhaut eingelassen und materialgleich bekleidet. Die sich daraus ergebenden negativen Einflüsse von Seitenwind auf die Wirksamkeit des Rauchabzuges wurden durch gegenüberliegende Anordnung als Doppelklappe für bestmöglichen Windschutz kompensiert.
Doppelklappen NRWG auf den Arkaden in Aachen
Das Einkaufszentrum in Aachen Arkaden beherbergt etwa 50 Geschäfte und 800 Parkplätze. Die zentrale Mall wird von einem lichtdurchlässigen Membran-Tonnendach mit 16 Metern Breite und 113 Metern Länge überspannt. Neben den mechanischen Schnittstellen waren vor allem aerodynamische Probleme zu lösen. Es erwies sich konstruktiv als notwendig, die NRWG am Traufrand der Membranbögen anzuordnen. Das machte weniger, aber dafür größere Geräte erforderlich und zog einige Probleme bezüglich der Funktion bei Seitenwind nach sich. Doch nur so konnte die insgesamt erforderliche Rauchabzugsfläche allein am Tonnenrand untergebracht werden. Dafür wurden die die 44 Doppelklappen-NRWG paarweise angeordnet.
Ein solches 4-Flügelfeld verhält sich allerdings aerodynamisch anders als die Summe der beiden Doppelklappen. Insbesondere der Einfluss von Seitenwind, die erforderliche Windleitwandhöhe und sich daraus ergebende höhere Mindestabstände sind schwer abzuschätzen. Diese Zusammenhänge wurden in Versuchen nach EN 12101-2 geprüft. Im Ergebnis wurden höhere Windleitwände eingesetzt, die wiederum größere Geräteabstände erforderlich machten. Nur mittels professioneller Versuche und sachkundiger Beurteilung sind die Auswirkungen des Windes auf die Wirksamkeit von NRWG kalkulierbar, wenn von den geprüften und genormten Ausführungen und Abständen abgewichen werden soll.
Rauchabzug in der Rhein-Galerie in Ludwigshafen
Die Rhein-Galerie in Ludwigshafen ist eine 330 Meter lange Shopping-Mall mit 130 Geschäften und 1400 darüber liegenden Parkplätzen. Über 2.900 Quadratmeter elliptische Glasdachkonstruktionen wurden im Jahr 2010 errichtet. Sie fluten die Mall mit reichlich Tageslicht und sorgen für natürliche Lüftung und Rauchabzug.
Die erste Herausforderung bestand in der lokalen Konzentration der RWA-Flächen, die sich aus dem architektonischen Konzept ergab. Hinzu kamen hohe optische Ansprüche und der damit verbundene Wunsch auf Windleitwände zu verzichten.
In die Glasdachkonstruktion wurden 100 NRWG integriert. Eine redundant aufgebaute Druckluftanlage mit circa 20 bar liefert die Energie für die RWA-Funktion und ermöglicht zentrales Öffnen und Schließen ohne Verbrauch von CO2-Flaschen.
Eine komplexe vernetzte Steuerung aus einer RWA-Hauptzentrale und vier RWA-Unterzentralen mit Prioritätenverschaltung von Entrauchungstableaus, BMA, GLT und Handbedienstellen sorgt für ein effektives Zusammenwirken aller RWA- und Lüftungsöffnungen im gesamten Objekt in jedem Betriebszustand. So gelingt vorbeugender Brandschutz mit RWA-Anlagen in der Praxis.